Frauenturnen seit 1905

1905 – 2017: Über 110 Jahre Frauenturnen beim TSV Turnerbund München e.V.

Begonnen hat es – wie immer – mit einem Mann! Als vor über 100 Jahren der damalige „Turnverein Au-München“ das Frauenturnen einführte, war ein gewisser Dr. Josef Freudenberger der Initiator. Freudenberger, gebürtig aus Asbach bei Glonn, begann Ende 1885 seinen Dienst als Armenarzt und Leichenbeschauer am Gasteigspital, da, wo sich heute die Philharmonie erhebt. Es war eine höchst arme Bevölkerung, die dort in der Au zu seinen Patienten zählte. Schon früh muss Josef Freudenberger der gesundheitliche Aspekt des Turnens für diesen Personenkreis bewusst geworden sein. 1887 trat er selbst dem Turnverein bei, dessen Ehrenvorsitzender er bis zu seinem Tode bleiben sollte. Auf sein Betreiben wurde dort 23 Jahre nach Vereinsgründung eine Frauenabteilung eingeführt. Es war eine Pioniertat! In einem Zeitungsnachruf auf den Tod Freudenbergers 1928 heißt es: „Der 1. Vorsitzende des Turnerbundes (so nannte sich der Turnverein Au-München seit 1907), Franz Xaver Heimbach, wies darauf hin, dass der Entschlafene 1905 an zweiter Stelle das Mädchen- und Frauenturnen in München und Bayern einführte, wie er überhaupt für die Förderung des Turngedankens eifrig tätig war.“ Seinen Zeitgenossen war Freudenberger auch als „Apostel der Armen“ bekannt und als Autor des 1913 erschienenen Urkundenwerks „Aus der Geschichte der Au“, auf das sich bis heute noch viele Heimatforscher beziehen. Die Stadt ehrte den königlichen Hofrat Dr. Josef Freudenberger mit einem Straßennamen: Der „Freudenbergerweg“ von der Franziskanerstraße zur Hochstraße erinnert bis heute an ihn.

Auch wenn die Frauen seit 1905 aktiv im damaligen Vereinsheim an der Pilgersheimer Str. 11 turnen durften, galten sie doch nicht als ordentliche Mitglieder! So heißt es in der Turnerbund-Satzung von 1913: „Die ordentlichen Mitglieder sind stimm- und wahlberechtigt. Frauen sind hiervon ausgenommen.“ Das änderte sich erst in jüngerer Zeit.

Aber sportlich erfolgreich waren die weiblichen Mitglieder schon von Anfang an. Seit 1919 gab es jährlich Damenstaffelläufe über 4 x 100 m, bei denen die Vertreterinnen des Turnerbundes oft an erster Stelle einliefen. Und im TBM-Übungsplan vom November 1926 steht, dass die Damen montags und donnerstags von 7.30 – 9.30 Uhr turnen dürfen, Kürturnen für Damen und Herren sonntagvormittags stattfindet und dienstags und freitags nachmittags die Gesundheitsriege für Frauen die Turnhalle belegt. Eine Vorwegnahme der heutigen Reha-und Präventionsgymnastik! Die TBM-Damen waren nicht nur auf dem Gebiete des Sports aktiv. Sie stellten sich auch immer wieder den geselligen Anlässen und traten vielfach bei Veranstaltungen, so z. B. bei Stiftungsfesten oder Faschingsbällen, auf. Über das 38. Turnerbund-Stiftungsfest berichtet 1920 eine Zeitungsnotiz, dass die „Damenabteilungen ihre Kunst in einem Flaggentanz“ zeigte.

Bereits vor dem 2. Weltkrieg hatten die Damen auch das Kommando im Turnbetrieb übernommen. Lag zu Anfang des 20. Jahrhunderts das Frauenturnen noch fest in männlicher Hand, so tauchen jetzt in den Annalen immer häufiger Frauennamen als Übungsleiter, bzw. Vorturner auf. In den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden zeitweilig auch die Turnerbund-Finanzen von einer „Säcklwartin“ regiert. Zur gleichen Zeit saß die erste Frau als 2. Vorsitzende im Vorstand. Im Jubiläumsjahr 2005 hat der TBM drei Abteilungsleiterinnen. Sogar Karate wird von einer Dame geführt! Wer hätte das anno 1905 gedacht.

Sportlich hatte man mit Gretl Duell ein großes Talent in den Reihen der Trampolinabteilung. 1971 wurde sie Europameisterin in ihrer Sportart. Überhaupt ist der TSV Turnerbund München gerade im Trampolinturnen bei den Mädchen und Frauen erfolgreich bis auf den heutigen Tag. Und die Volleyballmädchen tun es ihnen gleich.

Im derzeitigen Sportbetrieb sind überwiegend Frauen als Übungsleiterinnen tätig. In der Vorstandschaft sind die Geschlechter zurzeit 5 : 3. Dass bei den weit über 3.000 Mitgliedern die Damen in fast allen Sparten in der Überzahl sind, zeigt die alljährliche Turnerbund-Statistik.

Ingrid Gail